Warum das Prokrastinieren manchmal stark in mir ist
Eigentlich sollte heute ein Beitrag über mein aktuelles Schreibprojekt – der zweite Band meiner Romance-Reihe rund um die Geschwister der Schuster-Family – online gehen, da ich im Moment mitten im Erstentwurf stecke. Doch wie der Titel vermuten lässt, war ich die letzten beiden Tage mit etwas ganz anderem beschäftigt. Nun wollte ich die Gelegenheit nutzen, mich nicht nur deswegen schlecht zu fühlen, sondern mich mit dem Thema etwas tiefgründiger auseinanderzusetzen. Herzlich willkommen zur heutigen Therapiesitzung!
Gründe fürs Prokrastinieren
Ich habe über die Jahre mal mehr mal weniger Probleme mit Prokrastination beim Schreiben gehabt. Gerade in diesem Bereich ist das ein Thema, das mich mitunter sehr frustriert, weil das Schreiben doch etwas ist, was ich freiwillig und theoretisch auch gerne mache (mehr dazu in einem anderen Beitrag), das ich als meinen Purpose im Leben auserkoren habe. Und doch gibt es immer wieder diese Phasen, in denen ich eben dies nicht zu tun scheine, in denen ich „lieber“ in den Sozialen Netzwerken versumpfe, mich lieber mit dem Designen von potenziellen Covern beschäftige oder mich von einer banalen Aufgabe zur nächsten hangle, ohne wirklich etwas zu erledigen. Wie kann das sein, dass einem so etwas nicht nur bei Aufgaben wie Hausarbeit und Kontrolltermine beim Arzt vereinbaren passiert, sondern auch bei den Dingen, die einem am meisten bedeuten?
Ich bin der Überzeugung, dass es nicht DIE GRÜNDE fürs Prokrastinieren gibt, die dieses Phänomen für alle Menschen erklären können. Vielmehr glaube ich, dass es (wie so oft im Leben) eine individuelle Angelegenheit ist, deren Ursachen viel umfassender sind, als schlechtes Zeitmanagement. Denn ganz im ernst, jemand, der immer wieder die selbst gestellten Aufgaben aufschiebt und nicht erledigt, weiß sehr wahrscheinlich selbst, dass es im eigenen Leben in Bezug auf Zeitmanagement nicht unbedingt zum Besten steht. Die viel wichtigere Frage ist jedoch: Warum ist das so?
Womit wir bei der ersten Liste des heutigen Beitrages angekommen sind. Mögen wir nicht alle eine gute Liste, die uns zumindest für einen Moment den Anschein lässt, dass sich die Welt in geordnetere Bahnen lenken, in ein strukturiertes 1. und 2. und 3. verpacken lässt? Ich denke ja. Hier kommt also die Liste meiner persönlichen Gründe für das Prokrastinieren beim Schreiben:
- Angst
- Überforderung
- Unterforderung
- Perfektionismus
- Selbstsabotage
Aber weil ich mich ja etwas tiefgründiger mit meiner eigenen Prokrastination auseinandersetzen wollte, wagen wir uns doch weiter vor. Nehmen wir die so schön geordnete Liste auseinander und untersuchen, was für emotionale Anwandlungen sich hinter den Schlagworten verbergen.
Aus Angst zum Nichtstun verdammt
Ich denke, dass die Angst einer der größten Auslöser meiner Prokrastination ist, gerade weil sie ein so weites Feld bespielt. Was gibt es nicht alles für Ängste, die sich für mich rund um das Schreiben ansiedeln! Und wie ungünstig, dass unser Gehirn uns auch vor diesen nicht lebensbedrohenden Ängsten beschützen möchte und uns die Aufgaben vermeiden lässt. Klassisches Beispiel von gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Auch wenn es sich gerade ein bisschen so anfühlt, wie nackig machen – bist du bereit für die nächste Liste, rund um meine Schreib-Ängste?
Versagensangst
Ein wahrscheinlich sehr großer Faktor, warum so viele angefangene Manuskripte in Schubladen liegen und darauf warten, weitergeschrieben zu werden. Die kaltschnäuzige Wahrheit lautet leider: Es fühlt sich so viel einfacher an, eine Sache nicht zu versuchen/weiterzuführen, als darin zu versagen. Sehr schwierig. Außer Augen zu und durch habe ich hier auch noch keine Bewältigungsstrategie gefunden.
Angst, dass es nie so gut wird, wie ich es mir vorgestellt habe
Wobei ich das wahrscheinlich anders hätte formulieren müssen: Die Unfähigkeit, akzeptieren zu können, dass der Text nie so gut werden wird, wie die Version, die in meinem Kopf existiert. Denn für mich ist das leider eine Tatsache: Sobald ich mit dem Schreiben beginne, fühlt es sich eigentlich schon wie Verlieren an, denn der geschriebene Text ist immer nur ein mehr oder weniger schwaches Abziehbild des Textes in mir. Mehr dazu unter dem Punkt sich dem Unbehagen aussetzen.
Angst, dass es nie so gut wird, wie andere es sich vorgestellt haben
Wir gehen vom ich zum sie. Wie wird der Text auf andere wirken? Werden sie ihn hassen? Als lächerlich abstempeln? Wird es Absagebriefe regnen? Harsche Kritik? Werden Leute enttäuscht sein, sagen dass man sein Potenzial nicht genutzt, unter den erwarteten Leistungen liegt? Sobald man nicht vorhat, den Text nur für die Schublade zu schreiben, geistern einem solche Fragen beim Schreiben mit durch den Kopf. Ich habe mir sagen lassen, dass es möglich sein soll, diese Fragen zumindest für eine kurze Weile auszublenden. Funktioniert wahrscheinlich ähnlich gut wie bei der geknebelten inneren Stimme.
Angst, sich dem Unbehagen auszusetzen, das mit dem Schreiben einhergeht
Schreiben ist nicht immer schön. So, jetzt habe ich es gesagt. Um ganz ehrlich zu sein, ist Schreiben für mich in den seltensten Fällen schön. Meistens hat es eher etwas von sich quälen, sich seinen eigenen Abgründen oder Defiziten stellen. Über das Akzeptieren des Abziehbildes sprach ich ja schon. Es gibt Tage, da kann ich gut mit diesem Unbehagen umgehen, an anderen kommt mir der Weg zum Schreibtisch ein bisschen so vor wie der Gang zum Schafott. Klingt dramatisch, ist auch so.
Angst, die falsche Entscheidung zu treffen
Eine Kategorie, in der ich es zwischenzeitlich zu einem Meistertitel geschafft hatte, auch wenn mein Therapeut mir immer wieder versichert, dass es so etwas wie eine richtige oder falsche Entscheidung nicht gibt. Ha! Damit kann er doch unmöglich das Schreiben gemeint haben, nicht wahr? Dort scheint sich mein Gehirn permanent zu fragen, ob ich mich nicht doch falsch entschieden habe. Das falsche Projekt, der falsche Protagonist, die falsche Erzählweise, Perspektive, Wahl der Metapher an dieser einen bestimmten Stelle. Was ist, wenn es einfach falsch ist? Nun, noch sage ich mir in solchen, dass dafür die Überarbeitung und das Lektorat erfunden worden ist … Ich werde zu gegebener Zeit berichten, wie gut ich damit fahre.
Wie du merkst, sind meine Ängste rum um das Schreiben vielseitig und allesamt destruktiv. Den einzig guten Rat im Umgang mit ihnen, den ich dir (und mir!) mit auf den Weg geben kann, ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich selbst gegenüber nett zu bleiben. Es muss sicherlich kein öffentlicher Blogpost sein, vielleicht tut es auch ein Prokrastinations-Tagebuch, in dem man seinen Sorgen und Ängsten auf den Grund geht, versucht nachzufühlen, was einem vom Schreiben zurückschrecken lässt. Wichtig dabei scheint mir der zweite Teil zu sein, das nett zu sich bleiben. Nicht immer einfach, aber dafür von umso größerer Bedeutung.
Puh, das war wirklich ein weites Feld, durch das wir uns hier bewegt haben. Bist du noch mit dabei oder bist du im Land der Ängste verloren gegangen? Ich hoffe nicht, denn mir scheint, das Schlimmste haben wir hinter uns gelassen – auch wenn es sich gerade einmal um den ersten Punkt meiner adretten Liste handelt. Gönnen wir uns eine kurze Pause, vielleicht ein Heißgetränk unserer Wahl, und sammeln wir unsere Kräfte für den nächsten Teil.
Alle wieder da? Dann auf in den nächsten deep dive in die Gründe, warum Elias verdammt nochmal nicht schreibt.
Überforderung, auch bekannt als Maus-vor-Berg-Syndrom
Das Gefühl kennt sicherlich jeder: Die To-Do Liste ist länger als der Tag, die Woche, der Monat. So viele Projekte warten darauf, umgesetzt zu werden (Erst letztens fertigte ich eine Auflistung aller meiner aktuellen Projekte an, die in irgendeiner Form in meinem Kopf Platz beanspruchen und kam auf sieben!), dass es sich schnell so anfühlen kann, als sei man eine kleine Maus, die vor einem gigantisch großen Berg voll Arbeit steht. Und da Angst und Überforderung die drei gängigen Reaktionen Kämpfen, Fliehen und Davonlaufen auslösen, besteht leider eine 2/3 Chance, dass die eigene Reaktion nicht produktiv sein dürfte. Es sei denn, man hat einen Plan.
Ja, du hast richtig gelesen, das ist der Teil mit dem Plan und dem Zeitmanagement. Denn um der eigenen Überforderung Herr zu werden, hilft leider oft nur ein Plan. Vielleicht kann das eine oder andere Genie auch ohne einen Plan mehrere Projekte verwirklichen, ich gehöre jedoch nicht zu dieser Kategorie Mensch. Weswegen ich alle paar Monate an meinem Plan rumschraube und ihn an den aktuellen Stand anpasse.
Über die Jahre hat sich für mich folgendes Prinzip als hilfreich erwiesen (Nicht, dass ich dadurch nicht mehr prokrastiniere, du erinnerst dich an das weite Feld der Angst?) und es beugt der Schnappatmung durch Überforderung vor. Ich setze mir Ziele, die ich zu Projekten herunterbreche, für die ich dann wiederum Aufgaben vergebe. Nur diese Aufgaben landen dann – möglichste realistisch – in meiner Monats- und Wochenplanung. Das schöne an Aufgaben ist nämlich, dass man sie schneller erledigen kann als – sagen wir einen Roman zu schreiben. Was bedeutet, dass man schneller ein Erfolgerlebnis hat und das Gefühl bekommt, vorwärts zu kommen. Yay!
Unterforderung, oder warum Schreiben manchmal langweilig ist
Seien wir ehrlich, nicht alle Aufgaben rund ums Schreiben sind spannend und interessant. Zum Schreiben gehört so viel mehr, als sich hinzusetzen und eine tolle Geschichte in den Computer zu tippen (Etwas, was für einige Autor*innen übrigens der langweiligste Teil des Schreibens ist). Es gibt die Projektplanung, die Figurenentwicklung, Worldbuilding, Plotten, das Exposé muss an irgendeiner Stelle geschrieben werden, vielleicht auch ein Treatment, je nachdem was man für ein Typ Autor*in ist. Dann ist da natürlich das eigentliche Schreiben des Erstentwurfs, der danach natürlich überarbeitet werden muss. Und nochmal überarbeitet und nochmal und nochmal. Wie du sehen kannst, beinhaltet das noch nicht mal etwas, was mit der Welt außerhalb des Projektes zu tun hat. Submission, Social Media und Networking sind hier drei Schlagworte, die ich einfach so in den Raum stellen möchte. Wir können also festhalten, die Aufgaben einer Autorschaft sind vielfältig und nicht jede davon macht Spaß oder ist interessant. Da ist das Schreiben wie das Leben.
Aber was kann ich jetzt machen, wenn ich feststelle, dass ich gerade in einem Teil des Schreibprozesses stecke, der mich nicht interessiert und mich mit dem Gedanken spielen lässt, stattdessen lieber meine Steuererklärung zu machen (alles schon vorgekommen)? Meiner Meinung nach nicht viel, sorry. Mir hilft es manchmal, dass ich mir bewusst mache, dass es mir jedes Mal so geht, wenn ich an diesem Teil des Projektes angekommen bin. Und dass auch dieser Teil notwendig ist, um am Ende ein fertiges und halbwegs passables Manuskript vorliegen zu haben. Augen zu und durch, schätze ich.
Das Paradox des Perfektionismus
Ehrgeiz und einen gewissen Anspruch an das eigene Schreiben zu haben sind in meinen Augen eine gute Sache. Weniger gut hingegen ist es, wenn das ganze in den berühmt berüchtigten Perfektionismus ausartet. Denn das Problem daran ist, dass nichts und niemand perfekt ist. Warum erwarten wir also oft von uns, dass wir es sein müssen – oder dass der Erstentwurf des Romans perfekt sein muss. Das ist, wenn man es logisch betrachtet, ziemlicher Unsinn. Und dennoch tappe ich wie viele andere immer wieder in diese Falle. Dann überarbeite ich zum zwölften Mal denselben Absatz, nicht in der Lage weiterzuschreiben, was häufig in der kompletten Bandbreite meiner Ängste ausartet, was wiederum zum Prokrastinieren führt. Ein Teufelskreis. Statt sich also die Erlaubnis zu erteilen, dass die erste Version auch einfach mal schlecht sein darf (zu wissen, wie man eine Szene nicht schreiben will, kann auch sehr hilfreich sein), wird so lange rumgedoktert und geningelt, bis einem jegliche Motivation abhanden gekommen ist. Auch hier empfehle ich mir (und dir) ein Prokrastinations-Logbuch, in dem man sich mit den eigenen, meist antrainierten Reflexen zur Perfektion auseinandersetzen kann. Und vielleicht noch die regelmäßige Erinnerung daran, dass Perfektion nicht existiert. Sagen wir es alle zusammen: Perfektion existiert nicht.
Warum man manchmal sein eigener größter Feind ist
Selbstsabotage kann wie so vieles mehrere Gründe haben. Häufig geht dieses Verhalten jedoch Hand in Hand mit geringem Selbstwertgefühl und massiven Selbstzweifeln einher. Sind sie nicht ein bezauberndes Trio? Das Gemeine daran ist, dass Selbstsabotage meist auf einer unterbewussten Ebene stattfindet und für mich oft erst retroperspektiv erkennbar ist. Was bedeutet, dass es gar nicht so einfach zu unterbinden ist. In Phasen, in denen es um mein Selbstwertgefühl nicht sonderlich gut steht, ich das Gefühl habe, dass alle anderen viel besser schreiben können – und sowieso, die anderen sind doch richtige Autor*innen, nicht so Wannabes wie du einer bist – da kann Prokrastination eine Form von Selbstsabotage sein. Da sabotiere ich quasi meinen eigenen Fortschritt, lasse Zeitfenster ungenutzt, Ausschreibungen verstreichen oder verschiebe anspruchsvolle Schreibprojekte auf ein ewiges morgen, wie als ob ich mir beweisen will, dass ich recht hatte: Ich tauge nicht zum Schreiben und hier ist der Beweis!
Sich dieser Tendenz bewusst zu sein, ist für mich schon der erste Schritt, um mit dieser Form des Prokrastinierens umzugehen. Ich versuche mir regelmäßig vor Augen zu führen, was ich alles schon erreicht habe und dass ich kein cooler Berlin-Hipster-Autor sein muss, um etwas beizutragen. Ja, wahrscheinlich fühlt sich auch der Berlin-Hipster oft ungenügend und sabotiert sich selbst. Dabei wäre es wahrscheinlich hilfreich, sich mehr auf die Frage zu konzentrieren, was ich zu sagen habe, statt zu debattieren, ob ich etwas zu sagen habe. Wie du merkst, ist das bei mir noch eine recht aktive Baustelle.
Wir haben es geschafft!
Wir haben uns durch die Liste der akutesten Gründe, warum ich das Schreiben prokrastiniere, gearbeitet und vielleicht die eine oder andere Erkenntnis aus dieser Auseinandersetzung gewonnen. Und sei es nur, dass es schon viel hilft, sich seiner eigenen Tendenzen und Ängste bewusst zu sein. Da ich diesen Blogbeitrag natürlich wieder bis zur letzten Minute aufgeschoben habe und noch immer einen guten Titel finden muss, verzichte ich heute auf aufwendige Abschiedsworte und erkläre die Therapiesitzung hiermit für beendet.
All the love
Ely